BRUTVERHALTEN & FORTPFLANZUNG

Schon Wochen vor dem Beginn der Brut inspizieren die Brutpaare unterschiedliche Höhlen. Nacheinander klettern sie in die Öffnung und erforschen gründlich das Innere. Revierkonflikte stehen kurz vor Brutbeginn auf der Tagesordnung. Meistens verlaufen sie harmlos. Die Amazonen beanspruchen um ihren Brutbaum herum ein größeres Revier, welches oftmals heftig gegen die eigene Art verteidigt wird. Durch dieses Revierverhalten ist der vorhandene Platz begrenzt. Teilweise liegen die Brutbäume der Amazonenpaare keine fünfzig Meter voneinander entfernt. Manche Brutreviere werden von Jahr zu Jahr kleiner, junge Paare drängen sich zwischen zwei Brutpaare hinein und beanspruchen durch heftiges Imponieren ein Revier mit Brutbaum. Die alteingesessenen Paare nehmen dies nicht so einfach hin und versuchen die Neulinge einzuschüchtern. Drohend rufen sie, die Pupillen werden klein, der Schwanz ist gefächert und die Flügel angehoben. Oftmals endet das Imponieren in einem gefährlichen Kampf. Diese Kämpfe spielen sich zum Teil in den unteren Ästen der Bäume, häufig aber auch auf dem Boden ab.

Girolamo nach der Inspektion einer Bruthöhle
Revierkampf am Boden

Ab Mitte März fangen die Stuttgarter Amazonen an sich zu paaren. Dies geschieht bereits an den Schlafplätzen in Bad Cannstatt, gleich nach dem Wachwerden, wenn es noch nicht mal richtig hell ist. Auf eine Balz verzichten sie. Nach der Paarung werden die Weibchen häufig von ihren Männchen gefüttert und manchmal beginnen sie sich danach gegenseitig zu kraulen. Sobald es hell genug ist, fliegen sie in ihre Reviere im Brutgebiet.  Auch die jungen ein- und zweijährigen Amazonen schauen nach dem Wachwerden im Brutgebiet vorbei. Es gibt noch viel von den erwachsenen, alteingesessenen Paaren zu lernen. Während die einjährigen Amazonen den Park zur Futtersuche und zum Beobachten nutzen, sucht so manch einer von den zweijährigen schon nach einem Brutgebiet.

Kirke und Julius bei der Paarung

Paare, welche im vorigen Jahr eine erfolgreiche Brut hatten, nehmen gerne dieselbe Bruthöhle. Für ihre Brut bevorzugen die Stuttgarter Amazonen Hohlräume in Platanen. Diese bauen sie jedoch nicht selber. Die Bäume im Rosensteinpark und Schlossgarten sind mittlerweile sehr alt und im Laufe der Zeit sind viele Äste abgebrochen und an den Bruchstellen entstanden Hohlräume. Von 2016 bis 2018 brütete immer nur ein einziges Pärchen nicht in einer Platane. 2019 haben sich insgesamt drei Paare dafür entschieden in anderen Baumarten zu brüten. Die Eiablage der Amazonenweibchen findet in der Regel Mitte April bis Mai statt. Scheitert die erste Brut, kann es vorkommen, dass die Amazonen ein zweites Gelege starten. 2018 ist dies bei Tom und Blaubäckchen geschehen und tatsächlich hatten sie bei ihrem zweiten Versuch ein Junges. Für circa 26 Tage bebrüten ausschließlich die Weibchen die Eier. Die Männchen begeben sich auf Futtersuche und kommen morgens und abends je ein- bis zweimal zum Brutbaum, um die Weibchen zu füttern. Die Weibchen verlassen nur für einen kurzen Moment die Baumhöhle. Manchmal fliegen sie nach der Partnerfütterung noch zu ihrer Reviergrenze, um den Nachbarn zu imponieren, kehren aber nach fünf bis fünfzehn Minuten wieder zu ihrem Brutbaum zurück.

„Papagei“ und „Mamagei“ beim gegenseitigen Kraulen

Nach circa 26 Tagen schlüpft das erste Junge. In den Wochen nach dem Schlupf wärmt das Weibchen durch Hudern die noch nackten Nestlinge. Nach und nach verbringt das Weibchen nun immer mehr Zeit außerhalb des Nestes, um sich gemeinsam mit dem Männchen auf Futtersuche zu begeben. Das Angebot an Nahrung ist reichhaltig. Saftige Maulbeeren und Kirschen hängen an vielen Bäumen im Stuttgarter Stadtgebiet und Haselnusssträucher sowie Walnussbäume tragen die ersten unreifen Früchte. Wie schon zuvor das Weibchen während des Bebrütens der Eier erhalten die Jungen ebenfalls morgens und abends je ein bis zwei Fütterungen, meistens von beiden Elternteilen. Es ist immer eine sehr schwierige Zeit, um die Amazonen bei der Brut zu beobachten. Viele Amazonen, insbesondere die Männchen, reagieren sehr empfindlich darauf, wenn konstant die Bruthöhle beobachtet wird, und gehen nicht mehr in die Bruthöhle hinein. Anfangs habe ich so manche Bruthöhle über eine sehr große Entfernung hinweg beobachtet, mittlerweile bin ich dazu übergegangen, das Geschehen mit einer Filmkamera aufzuzeichnen und später auszuwerten, um keinerlei Störfaktor zu sein. Circa 9 Wochen dauert die Nestlingszeit der Amazonen. Stehen die Jungen kurz vor dem Ausflug, klettern sie an die Öffnung und schauen neugierig hinaus.

Zwei junge Amazonen schauen neugierig aus der Bruthöhle

Nach dem Verlassen des Nestes sind die jungen Amazonen noch sehr unbeholfen und tollpatschig. Die ersten Landungen sehen meistens ziemlich ungeschickt aus und Klettern klappt auch noch nicht so richtig. Erst nach und nach werden sie immer geübter. Viele Paare lotsen ihre Junge schon kurz nach dem Ausflug zu den Schlafplätzen in die Cannstatter Innenstadt, andere Familien hingegen ziehen sich in ein Randgebiet nahe den Schlafplätzen zurück und übernachten abseits der Gruppe.
In der Anfangszeit werden die Jungen regelmäßig von den Eltern gefüttert. Während die Eltern auf Futtersuche sind, bleiben die Jungen alleine zurück. Geduldig müssen sie auf die Rückkehr der Eltern warten und nutzen die Zeit, um alles Mögliche, wie Rinden, Äste und Blätter, zu beknabbern und zu untersuchen. Nach und nach fressen sie eigenständig unter anderem Äpfel, Birnen, Ahorn- oder Hainbuchensamen.

Lola füttert ihr Junges

Je selbstständiger die jungen Amazonen werden, umso seltener werden sie von den Eltern gefüttert, bis diese die Fütterung schließlich komplett einstellen. Etwa dreieinhalb bis vier Monate nach dem Verlassen des Nestes haben die jungen Amazonen die Selbstständigkeit erlernt. Sie sind nun auf sich alleine gestellt und nicht mehr mit den Elterntieren zusammen unterwegs. Die etwa gleichaltrigen Jungen der verschiedenen Amazonenpaare schließen sich zusammen und gehen gemeinsam auf Futtersuche. In einem Alter von ein bis zwei Jahren suchen sich die jungen Amazonen einen Partner. Die Bindung ist noch nicht sehr stabil und häufig kommt es zu einem Partnerwechsel.